von Karina Schneider
Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einziehen, sich ihrer entladen;
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich presst,
Und dank ihm, wenn er dich wieder entlässt.
Johann Wolfgang von Goethe
„Das Kraut des Internisten und das Messer des Chirurgen heilen von außen, der Atem heilt von innen“
Paracelsus
Das Wissen um die Wirkung des Atmens ist uralt. So werden im Orient und in Asien Atemübungen bereits seit mehr als 4000 Jahren praktiziert. In der Pharaonenzeit wurde dem Atem besondere Bedeutung beigemessen. Ägyptische Grabinschriften verweisen auf die „Heilkunst mit dem Atem“, die derjenigen mit „dem Messer“ oder mit „Pflanzensaft“ überlegen sei. Die Atmung galt dort nicht nur als „Königsweg“ zur Heilung, sondern auch als „Tor zur Innenwelt“, als Weg tiefer Selbsterfahrung.
Auch andere Hochkulturen, wie die der alten Griechen, wussten um die Bedeutung des Atems. Auf Griechisch gibt es die Begriffe Pneuma und Odem, die sowohl Atem als auch Geist bzw. Seele bedeuten.
Das Wunder Mensch – wir atmen ein, wir atmen aus.
Unser Atem bestimmt unser ganzes Leben. Wir werden geboren und machen unseren ersten Atemzug und wenn wir unseren letzten Atemzug tätigen, verlassen wir diese Welt. Zwischen diesen beiden Punkten atmen wir ein und aus, ca. 700 Mal pro Stunde. Mal mehr, mal weniger, je nachdem wie alt wir sind, wie unsere Kondition ist und wie unser Gemütszustand ist.
Unser Atem fließt beständig, unbewusst, ganz ohne unser Zutun. Unser Körper braucht dazu nicht unser Bewusstsein, denn wir atmen auch, wenn wir tief schlafen oder ohnmächtig sind. Wir müssen uns nicht damit beschäftigen, damit wir atmen. Wir tun es einfach.
Im Grunde genommen ist die Atmung ein chemischer Prozess: In der Lunge wird der eingeatmeten Luft Sauerstoff entzogen und ins Blut weitergegeben. Dieses transportiert es dann weiter zu den Organen, bis hin zur kleinsten Zelle. Kohlendioxid wird über die Lunge wieder ausgeatmet.
Der Sauerstoff, der bei der Einatmung aufgenommen wird, ist der Treibstoff, der alle wichtigen Prozesse unseres Körpers am Laufen hält: die Verwertung unserer Nahrung, unsere Gehirnleistung, Bewegung – das alles ist nur möglich, wenn unser Körper mit Sauerstoff versorgt wird. Jede noch so kleine Zelle braucht dieses Gas und würde nicht mehr richtig arbeiten, wenn sie zu wenig Sauerstoff erhalten würde. Das Fatale ist, dass wir Sauerstoff nicht speichern können. Wir müssen ihn permanent über die Atmung unserem Körper zuführen. Geschieht das nicht, sterben wir. Uns bleibt also nichts anderes übrig als Einatmen und Ausatmen – ein ganzes Leben lang.
Die Macht der Atmung
Unsere Atmung hat einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit, viel größer, als wir ahnen. Tiefes Durchatmen hilft, bis zu 70% der über die Luft eingeatmeten Gifte auszuscheiden, ruhiges Atmen verhindert Blockaden, die durch starke Emotionen und erhöhte Anspannung entstehen. Richtiges Atmen aktiviert das Immunsystem und hilft dabei, den Blutdruck zu senken. Mit einer gezielten Bauchatmung kann man bis zu 75 Liter Luft aufnehmen und somit durch die bewusste Steuerung der Atmung positiven Einfluss auf Körper und Psyche nehmen.
Im Alltag und unter Stress vergessen wir aber meistens, richtig zu atmen. Oft atmen wir dann flacher und gepresster. So gelangen nur etwa 7 bis 10 Liter Luft über den Blutkreislauf zu den Organen. Bei Anspannung neigen wir außerdem dazu, zur Brust- oder Schulteratmung überzugehen. Dabei heben und senken wir nur leicht die Schultern oder den Brustkorb, der Bauch wölbt sich nach Innen. Die Folgen sind Kurzatmigkeit, Beklemmungen und eine schlechte Körperhaltung.
Was heißt „richtig atmen“?
Wie atmet man jetzt aber richtig? Richtig atmen heißt, die Atemluft ohne Anstrengung ganz in Bauch und Becken hineinströmen zu lassen. Gezielte Atemübungen können uns dabei unterstützen, unsere Atmungsmuskulatur zu stärken, sie sorgen auch dafür, dass unsere Konzentration verbessert wird und wir unsere körperlichen Leistungen steigern.
Wenn wir tief und entspannt einatmen, signalisieren wir unserem Körper „Keine Gefahr, alles ist gut!“. Stress wird vermindert, Emotionen kommen zur Ruhe und wir werden klarer im Kopf.
Yoga und Prana
Im Yoga hat Atmung eine ganz besondere Bedeutung. „Prana“ – die Substanz, die wir einatmen – ist die Urenergie, die die Lebensenergie des Menschen ist. Der Speicherort von Prana ist der Solarplexus (Sonnengeflecht). Mit den Übungen des Pranayama – der Atempraxis im Yoga – soll der Körper verstärkt mit Prana, der Lebenskraft, versorgt werden. Sie unterstützen dabei, das Nervensystem zu harmonisieren, das Atemvolumen zu vergrößern, den Puls und den Blutdruck zu senken und zu ganzheitlicher Entspannung und Harmonisierung des Nervensystems beizutragen.
Die yogischen Vollatmung besteht immer aus 4 Phasen
- Einatmung
- Pause
- Ausatmung
- Pause
Als Grundregel gilt, dass die Ausatmung immer länger sein soll als die Einatmung. Wesentlich ist, dass die Pausen bewusst gemacht und vor allem gehalten werden.
Atemübung zum Einschlafen.
Die Gedanken spielen im Kopf fangen, du wälzt dich von einer Seite zur anderen und kannst nicht einschlafen?
Diese Yoga-Atemübung hilft dir dabei, ruhiger zu werden und einzuschlafen:
Lege dich bequem auf den Rücken, deine Arme liegen entspannt neben deinem Körper und deine Handflächen zeigen nach oben. Deine Beine liegen hüftbreit, die Füße fallen nach außen. Schließe deine Augen und konzentriere dich auf deine Atmung.
Du atmest durch die Nase langsam tief ein. Beginne mit der Einatmung bei 1 und zähle bis 4. Atme aus und zähle wieder langsam bis 4. Einatmen – 1-2-3-4 – Ausatmen – 1-2-3-4. Wiederhole das fünfmal.
Jetzt verlängere die Ein- und Ausatmung und zähle bis 5. Wiederhole wieder fünfmal.
Spüre in deinen Körper hinein – wie fühlt es sich an?
In der nächsten Runde verlängere die Ein- und Ausatmung auf 6. Lass dabei deine Zunge sanft in den Zugengrund fallen, entspanne dein Kiefer und halte deine Augen geschlossen. Wiederhole fünfmal.
Danach atme normal weiter – falls du in der Zwischenzeit noch nicht eingeschlafen bist.
Wusstest du, dass das Singen von Liedern dich anregt, vollständig auszuatmen? Man kann nämlich nicht singen, ohne allmählich auszuatmen. Dabei werden Unreinheiten ausgeschieden, die Lungen geleert und freigemacht für einen neuen, unwillkürlichen Atemzug.
von Karina Schneider
Unschuld, Reinheit, Friede, Weisheit und Unendlichkeit – das ist nur eine kleine Auswahl der Begriffe, mit denen Weiß assoziiert wird. Weiß ist – nach Meinung des Geheimrats Johann Wolfgang von Goethe – die vollkommenste aller Farben, denn Weiß birgt alle Farben in sich. Weiß war immer die Farbe des Mystischen, des Heiligen, es steht für Leben und Tod, für den unendlichen Kreislauf des Lebens.
Der Winter steht vor der Tür und wir freuen uns auf den ersten Schnee. Wenn die Landschaft mit einer weißen Decke wie verwandelt ist, die Geräusche leiser werden und sich das Leben verlangsamt. Das Weiß des Schnees macht die Nächte hell und stimmt uns friedlich. Weiße Weihnachten – egal ob in den Medien oder in persönlichen Gesprächen, viele von uns sehnen sich danach. Wenn Stadt und Land in der weißen Pracht verhüllt sind, scheint alles leichter, reiner und stiller. Weiß – eine magische Farbe, die uns seit Beginn der Zeit verzaubert.
Weiß ist die Farbe der Leere und Nichts und lässt uns daher viel Raum für Kreativität und Phantasie. Ein weißer Fleck auf der Landkarte steht für unbekannte Gegenden – es bleibt unserer Phantasie überlassen, was sich dahinter verbirgt. Eine weiße Leinwand ist eine Spielwiese für unsere Kreativität und ein weißes, weil unbeschriebenes Blatt hat Platz für die wunderbarsten Geschichten. Weiß, das beinhaltet immer wieder unenedlich viele Möglichkeiten. Das Sonnenlicht, das uns weiß erscheint, birgt das komplette Farbspektrum in sich. Physikalisch betrachtet spricht man von der subtraktiven Farbmischung. Die Farben des Regenbogens werden auch nur dadurch sichtbar, dass das weiße Sonnenlicht durch die Regentropfen in seine einzelnen Farben „aufgeteilt“ wird. Aber genau genommen ist Weiß keine Farbe, es gehört wie Schwarz und Grau zur Gruppe der unbunten Farben. Damit wir Weiß sehen, müssen im Auge der Rot-, Grün- und Blaurezeptor gleichermaßen gereizt werden.
Unschuld, Friede, Weite, Kälte, Reinheit, Helligkeit – das sind die ersten Assoziationen, die uns in den Sinn kommen, wen wir nach der Farbe Weiß gefragt werden. Weiß hat die Menschheit schon von Anbeginn der Zeiten fasziniert. So wurden in der Frühzeit der menschlichen Geschichte die Toten weiß angemalt, um sie vor Dämonen zu schützen, später wurden die Toten in weiße Tücher gewickelt. Im alten Ägypten war Weiß der Herold der Sonne und der weiße Stier Buchis der Repräsentant des Sonnengottes Ra. In der christlichen Tradition wird Weiß oft mit dem göttlichen Licht assoziiert und verkörpert die Erleuchtung, das Vollkommene und die Auferstehung. Im Englischen gibt es den Begriff „White Lies“ – sinngemäß übersetzt mit „Lüge aus Höflichkeit“ oder auch Notlüge. Also eine Lüge, die positiv bewertet wird.
Im westlichen Kulturkreis steht Weiß für den Uranfang der Welt und des Lebens. Es steht einerseits für Unschuld aber auch für Verführung. Im Mittelalter wurde zum Beispiel wurde eine Person, die ein weißes Hemd trug, als nackt angesehen, denn das weiße Hemd wurde mit – der damals – hoch-sexuellen weißen Haut gleichgesetzt. Die Damen im Mittelalter wussten das bewusst einzusetzen. Das weiße Brautkleid kam erst mit der Hochzeit von Queen Victoria 1840 in Mode. Davor trugen Bräute einfach ihre besten Kleider. Auch in der Traumdeutung ist Weiß das Zeichen der Reinheit und der Unschuld und verweist den Träumer auf die Integration seiner inneren Gegensätze.
Weiß ist auch die Farbe der Macht. Hohe Würdenträger trugen zu besonderen Anlässen weiße Gewänder. Noch heute tragen Ärzte und Wissenschaftler Weiß. Nicht umsonst werden diese Berufsgruppen „Götter in Weiß“ genannt. In der katholischen Kirche tragen die Priester zu besonders hohen liturgischen Feiern weiß. Der Pabst ist hier die Ausnahme: er kann, als höchste Autorität in der Kirche, immer weiß tragen.
Im asiatischen Raum wird Weiß mit Trauer und Tod in Verbindung gebracht. Wobei, wenn man genauer hinsieht, ist Weiß die Farbe der Transzendenz und Transformation. Denn der Tod ist hier nur der Abschied aus dem irdischen Leben und der Beginn von etwas Neuen. Weiße Trauerkleidung ist in weiten Teilen Asiens üblich, in Japan ist eine weiße Nelke das Zeichen der Trauer. Hinduistische Priester bedecken sich mit weißer Asche als Symbol der spirituellen Wiedergeburt und Saraswati, die Göttin der Weisheit, des Intellekts und der Künste wird meistens in einem weißen Gewand auf einer weißen Lotusblüte dargestellt. Im Feng Shui steht Weiß für das Vollkommene und repräsentiert das Yang, das männliche Prinzip.
Der Farbe Weiß werden 3 Grundbedeutungen zugeschrieben: dem Göttlichen, dem Zauber und der Sexualität. Wer kennt sie nicht, die weißen Zauberinnen aus den mythologischen Erzählungen, Die Mond- und Sonnengöttinnen, der Heilige Geist in der Darstellung einer weißen Taube oder die Geschichten über weiße Zauberer und Hexen.
Weiß kann man aber nicht nur sehen sondern auch hören und riechen. Wer kennt nicht das enervierende Rauschen im Radio? In der Akustik ist das unter „Weißes Rauschen“ bekannt. So wie die Farbe Weiß durch die Summe aller Farben entsteht, so setzt sich das „Weiße Rauschen“ aus allen Frequenzen des hörbaren Bereichs zusammen (also von etwa 16 Hz bis 20 kHz) In ihm sind alle Frequenzen mit gleicher Amplitude, d.h. dem gleichen Lautstärkepegel, enthalten.
Forscher haben nun auch herausgefunden, dass man auch einen Geruch schaffen kann, der dem Konzept von „Weiß“ entspricht. Die Forscher wählten dazu 86 monomolekulare Duftstoffe aus und begannen, immer mehr Einzelkomponenten zusammenzumischen. Dabei stellte sich heraus, dass Mischungen, die aus mehr als 30 einzelnen Duftstoffen bestanden, immer ähnlicher rochen – selbst dann, wenn für die Mixtur unterschiedliche Komponenten verwendet wurden. Voraussetzung das dass klappt ist, dass die Duftstoffe über das gesamte Spektrum verteilt sind und die gleiche Duftintensität aufweisen (Quelle: science.orf.at).
von Karina Schneider
Der Weg am Wasser
Der Kneipp-Meditationsweg in St. Radegund
« Wasser! Es ist nicht so, dass man dich
zum Leben braucht – DU bist das Leben! »
Antoine de Saint Exupéry
Am Fuße des Schöckls gelegen und knapp 15 km von Graz enfernt, findet man St. Radegund. Der Ort war während der K & K Monarchie ein beliebter Kurort und berühmt für seine Quellen. So wurde 1841 die „1. Kaltwasseranstalt“ der Steiermark errichtet, ab 1864 erreichte der Boom rund um Radegund seinen Höhepunkt. Besonders der ungarische Adel und das Großbürgertum liebten diesen Ort in der grünen Steiermark. Prachtvolle Villen entstanden und Spazierwege – sogenannte Quellenwege – wurden angelegt. 22 der mehr als 160 Quellen, die aus dem Schöckl entspringen, wurden architektonisch gefasst und mit Namen versehen. Mit dem Ende der Monarchie verlor der Kurort St. Radegund an Glanz und Bedeutung. Zwar gibt es nach wie vor ein Rehabilitationszentrum und eine Privatklinik, die glanzvollen Zeiten sind jedoch vorbei.
Spätsommer 2012. Ich habe mich auf den Weg gemacht, einer der Quellenwege zu gehen. Genauer gesagt den Kneipp-Meditationsweg. Von Graz kommend sehe ich schon von weitem den Schöckl. Mit seinen 1445 Metern ist der Hausberg der Grazer der höchste Berg im Grazer Umland. Am Himmel schweben Paragleiter, wie Raubvögel ziehen sie ihre Kreise. Ich kurve die steile Straße hinauf zum Ort und parke direkt beim Kurhaus
St. Radegund. Mein Weg führt mich zur Talstation der Schöcklbahn, denn dort beginnt der Kneippweg. Vorbei an den Villen, den Pensionen und Gasthäusern, deren Namen stumme Zeugen einer vergangene Zeit sind – auch heute noch verköstigt das Gasthaus Budapest hungrige Kurgäste, Wanderer und Urlauber.
Talstation Schöcklbahn: Beide Parkplätze sind besetzt und noch immer kommen Ausflügler, die das sonnige Wochenende für eine Wanderung nutzen möchten. Aus einem Autobus aus Ungarn steigt eine Reisegruppe. Anscheinend wollen sie mit der Gondelbahn den Schöckl „erklimmen“. Ob sie wissen, dass St. Radegund während der K&K Monarchie bei ihren Landsleuten sehr beliebt war? Ein Paragleiter setzt zur Landung in der Wiese an und die nächste Gondel schwebt sanft in die Höhe. Hektik, lautes Rufen, das Brummen der Autos und das Surren der Drähte sind die dominierenden Geräusche. Ich überquere die Straße und sehe das erste Hinweisschild: Kneipp-Meditationsweg. Ich bin richtig.
Am Beginn des Weges ist ein sogenanntes Heilkunstwerk angelegt. Bernhard Haas, ein Landschaftskünstler, hat mit „Pflanze Mensch“ einen begehbaren Kräutergarten in Menschform geschaffen. Das Interessante daran ist, dass die heilenden Kräuter genau dort gepflanzt wurden, wo sie wirken. Ich bestaune das Kunstwerk, im hohen Gras zirpen die Grillen und im nahen Wald höre ich das Klopfen eines Spechts.
Der Wald umfängt mich bereits nach ein paar Schritten mit seiner Kühle und seinen Gerüchen. Es riecht nach Pilzen, nach trockenem Laub, Tannennadeln. Der Lärm der Welt wird leiser und das Rauschen eines Baches, der ganz in der Nähe fließt, wird lauter. Das muss eine der Quellen sein. Waldklee formt grüne Inseln im braunen Laub, Wurzeln bilden geometrische Muster am Waldboden und Efeu rankt sich an den Baumstämmen hoch. Es sieht aus, als hätten manche Bäume grüne Mäntel übergezogen. Alles ist so grün, so still – und so friedlich.
Je weiter ich den Weg gehe, desto weniger Geräusche gibt es. Nicht weil der Wald alles schluckt, sondern weil ein Geräusch alle anderen übertönt: das Rauschen der Bäche. War es zu Beginn nur einer, sehe ich jetzt drei, die den Berg herunter fließen. Die Hektik der Welt, die Geräusche der Menschen sind mit einem Mal ganz weit weg. Mit jedem Schritt bekomme ich eine Ahnung meines eigenen Rhythmus – einatmen, ausatmen, ein Schritt nach dem anderen.
Die erste gefasste Quelle, die ich erreiche, ist die Desirée-Quelle. Ich trinke daraus, ihr Wasser schmeckt rein und frisch. Ihr wird nachgesagt, dass sie belebend auf die Nerven wirkt und da vor allem das vegetative Nervensystem positiv beeinflusst. Bevor ich weitergehe, nehme ich noch einen Schluck – es kann ja nicht schaden, wenn das Nervenkostüm gestärkt wird. Immer mehr Quellen kommen den Berg hinab, vereinigen sich zu einem Bach. Bienen und Hummeln schweben beinahe lautlos von Blüte zu Blüte. Johanniskraut, Enzian, Schafgarbe, Taubnesseln wachsen am Wegesrand.
Vorbei an einem Kraftort, an dem quadratische Steine zum Sitzen, Nachdenken und Meditieren einladen, komme ich zur Quelle der ungarischen Madonna. Dieses Bildnis der ungarischen Landespatronin ist ein Rest jener vergangenen Zeit, als ungarische Kurgäste zum Stammklientel Radegunds gehörten. Dieser Quelle sagt man nach, dass sie heilend auf Herz und Lunge wirkt. Der Platz lädt zum Rasten und Wahrnehmen ein. Es sind Blumen gepflanzt, eine Gießkanne zeugt davon, dass hier regelmäßig jemand vorbei kommt. Ein bunter Blumenstrauß im Becken der Quelle regt meine Phantasie an: Hat hier jemand um Heilung gebetet? Oder um ein Wunder? Vielleicht wollte sich jemand einfach nur bedanken für das Wunder Leben. Ich bin gefangen von diesem Ort und seiner friedvollen Ausstrahlung.
Zwei Spaziergängerinnen kommen mir entgegen – fröhlich grüßen sie mich und wandern weiter. Ich gehe bergab, vorbei an der Rosaquelle, die Erdung und Lebenskraft vermittelt, weiter zum Wunschstein. Man sagt dem Wunschstein nach, dass er Wünsche erfüllt. Ich hab es versucht: Draufsetzen, Augen zumachen und den Wunsch visualisieren. Noch warte ich auf die Wunscherfüllung, aber man muss auch Wünschen Zeit geben sich zu realisieren… Die hölzerne Duschanlage, gleich hinter dem Wunschstein soll gute Heilerfolge bringen. Aber Quellwasser mit einer gefühlten Temperatur von fünf Grad – brrrrr, das ist nicht meine Sache.
Trotzdem, ganz lässt mich die Idee vom Kneippen nicht los und so ziehe ich bei der Wassertretstelle kurz unterhalb des Wunschsteins die Schuhe aus und steige durch das eiskalte Wasser. Ordentlich treten, Knie hochziehen und ein paar Mal auf und ab gehen. Nach einer halben Minute – länger war es nicht – spüre ich meine Füße nicht mehr, ich fühle mein Herz klopfen und will nur mehr aus dem kalten Wasser. Füße an der Luft trocknen lassen und dann wieder ab in Socken und Schuhe. Nachdem das Kältegefühl nachgelassen hat, fühle ich mich frisch und belebt. Natürlich probiere ich auch den Armguss aus, das ist viel angenehmer – anscheinend bin ich auf den Armen nicht so kälteempfindlich.
Ich gehe am Bach entlang, der mit seinem Gurgeln und Glucksen nach wie vor die Geräuschkulisse bestimmt. Steinpyramiden stehen an seinen Rändern. Wer hat sie wohl aufschichtet? Spielende Kinder, Wanderer bei der Rast? Ich weiß es nicht. Diese Steinpyramiden wirken auf mich wie Denkmäler auf Zeit. Wenn der Bach das nächste Mal über seine Ufer steigt, wird er sie umwerfen und so Platz für Neues schaffen. Eigentlich ist es wie im Leben: Manchmal muss man Platz schaffen, um Neues kreieren zu können.
Plötzlich schrecke ich aus meinen Gedanken hoch, als neben mir ein Vogel aus dem Gebüsch hochfliegt. Es ist so, als ob er mich daran erinnern will, dass ich weitergehen soll. Vorbei an der Pollakquelle, vorbei an der Demelius-Quelle. Der Pollakquelle wird nachgesagt, dass sie für Kopf und Augen Heilung bringt. Ich habe gelesen, dass man, wenn man damit die Augen benetzt, besser sehen soll. Ich habe vergessen es auszuprobieren…
Und dann stehe ich wieder am Rande des Waldes. Vor mir eine Wiese mit den Blumen des Spätsommers, Obstbäume säumen den Weg, der mich zu meinem Auto bringt. Die Realität hat mich wieder. Und auch die
Geräusche des Alltags. Schon wenige Schritte nachdem ich dem Wald verlassen habe, hört man das ferne Rauschen der Autos. Aus einem Fenster höre ich Musik Wolken am Himmel verdecken das Blau und ein leichter Wind bringt die Blätter der Obstbäume zum Tanzen. Ich schaue hinauf zum Schöckl und sehe drei, vier, nein fünf Paragleiter. Sie drehen ihre Runden, es sieht aus wie ein himmlischer Tanz. Die Turmuhr der Kirche schlägt zwei Uhr. Es ist Zeit nach Hause zu fahren.