Frau Schneider hatte nie die Figur einer Ballerina und Untergewicht war nur in Ausnahmesituationen ein Thema. Dafür isst Frau Schneider nämlich viel zu gerne gut. Das Problem, das dadurch entsteht ist, dass sich mittlerweile jeder köstliche Schweinsbraten mit Knödel, jedes Kartoffelgratin, jede Lasagne und jeder Schokokuchen diretissima auf die Hüften zubewegt, um dort ein glückliches Dasein in Form von zusätzlichen Kilos und charmanten Fettpölsterchen zu führen.
Aber jetzt hat Frau Schneider diesen dreisten Dingern den Kampf angesagt. Um ganz ehrlich zu sein, es ist nicht das erste Mal, dass sie das tut. Und zu ihrer Verteidigung muss man sagen, sie hat schon beachtliche Teilsiege errungen. Aber es waren halt immer nur kleinere Schlachten, die sie gewonnen hat, und nie den Krieg. So wie der selige Erzherzog Karl, der zwar Napoleon in der Schlacht bei Wagram besiegen konnte und so der Welt zeigte, dass der französische Kaiser nicht unbesiegbar war, aber es war halt nur eine einzige Schlacht. Nichtsdestotrotz hat er – der Erzherzog und nicht der Napoleon – ein Denkmal mitten am Heldenplatz in Wien bekommen. Das ist sogar das einzige Reiterdenkmal, wo das Pferd nur auf den Hinterbeinen steht ohne dass es durch den Schwanz abgestützt ist. Ein Wunder der Statik!
Aber Frau Schneider schweift ab. Eigentlich geht es um den Kampf der zusätzlichen Kilos auf ihren Hüften. Und da hat Frau Schneider einen Entschluss gefasst. Sie möchte in 30 Tagen mindestens 7 Kilo abnehmen. Erreichen möchte sie das nicht mit Hungern. Nein – dafür isst Frau Schneider viel zu gerne. Sie versucht es mit Sport und Ernährungsumstellung. Ab sofort ist vegane Ernährung angesagt. Und wenn das nicht geht, vegetarisch. Also kein Fleisch mehr, keine leeren Kohlenhydrate.
Und heute hat Frau Schneider beschlossen zu starten. Sonntag ist nämlich ein guter Tag zu beginnen. Findet zumindest Frau Schneider. Laufen war sie schon. Ein guter Beginn. War zwar ein bisschen mühsam, denn getan hat sie schon lange nix mehr. Aber wie gesagt, dass sollte jetzt ganz anders werden. Mittagessen vegan: Zucchini-Spaghetti mit Tomatensauce – und ein bisschen Parmesan, Frau Schneider will ja nicht übertreiben mit dem vegan sein. Dazwischen ein paar Übungseinheiten am PC, ein Text muss nämlich noch ins Reine geschrieben werden. Dann ist wieder körperliche Betätigung angesagt – der Nussbaum in Nachbars Garten beginnt kontinuierlich sein Laub abzuwerfen. Heißt im Klartext: immer dann, wenn man die herabgefallenen Blätter zu einem wunderbaren Haufen aufgetürmt und dann in der Biotonne entsorgt hat, beginnen die nächsten Blätter vom Baum zu rieseln. Aber was soll’s. Frau Schneider tut wenigstens was an der frischen Luft.
Frohen Mutes und Stolz auf ihr Durchhaltevermögen setzt sich Frau Schneider auf die Couch, um alte Zeitungen auszusortieren und endlich das Buch zu lesen, das mit seiner Geschichte schon so lange darauf wartet, gelesen zu werden. Und da passiert es. Wie aus dem Nichts sind Marzipanstücke, umhüllt mit köstlicher Bitterschokolade, aufgetaucht. Die, die immer kurz vor Weihnachten – also Ende August – in den Regalen der Supermärkte auftauchen. Frau Schneider kämpft – mit sich, ihrem Gewissen und der süßen Versuchung. Tja, was soll man sagen: gegen Marzipan in Bitterschokolade ist selbst die stärkste Frau machtlos. Frau Schneider ergibt sich also ihrem Schicksal und genießt. Das Leben soll doch ein Genuss sein – und vegan kann man auch morgen noch sein.